Der nicht-dominaten Körperseite mehr Beachtung schenken
Das Phänomen, dass eine Körperseite leistungsstärker als die andere Körperseite funktioniert, ist weitläufig bekannt. Als Ursache für die Dominanz (Seitigkeit bzw. Lateralität) einer Körperseite (z.B. Fuß, Hand, Auge, Ohr) wird morphologisch eine Asymmetrie der Gehirnhälften angenommen. Die beiden Gehirnhälften teilen sich dabei die Arbeit überkreuz auf: Die linke Hemisphäre dominiert die rechte Körperseite und die Sprache; die rechte Hemisphäre kontrolliert die linke Körperseite und das räumliche Vorstellungsvermögen. Bei einer Rechtsdominanz ist die linke Gehirnhälfte folglich stärker ausgebildet und bei einer Linksdominanz die rechte Hemisphäre.
In der Wissenschaft wird vermutet, dass die Hemisphären-Spezialisierung bereits vor über 500 Millionen Jahren existierte, als die ersten Wirbeltiere aufkamen. Noch nicht vollständig geklärt ist die Frage, warum die Dominanz der rechten Körperseite in der Bevölkerung so stark überwiegt. Bereits im Säuglingsalter ist die linke Gehirnhälfte meist stärker ausgeprägt. Ebenfalls kann bei Neugeborenen eine Asymmetrie der Haltung beobachtet werden. So drehen Neugeborene ihren Kopf spontan meist eher nach rechts als nach links. Dies deutet darauf hin, dass die rechts/links Dominanz bereits angeboren ist.
Allerdings zeigt die Wissenschaft, dass die Seitigkeit in der frühen Kindheit noch sehr instabil ist und noch umgepolt werden kann. Aufgrund der genetischen Programmierung und der Umwelteinflüsse bildet sich bis zum Beginn des Schulalters dann eine stabile rechts/links Organisation, die fortan nicht mehr gewechselt werden kann. Bei Erwachsenen sind ungefähr 85 % Rechtshändler und 10 % Linkshänder, wobei ein Anteil von ca. 5 % auf Ambidexter (fehlende Seitigkeit) entfällt. Ein ähnliches Verhältnis liegt bezüglich der Füße vor. Beim Auge ist bei circa 70 % aller Erwachsenen das rechte Auge dominant, bei 30 % dominiert das linke Auge. Die Ohren sind in 50 % der Fälle als rechtsdominant zu klassifizieren, wobei nur 10 % der Erwachsenen eine Linksdominanz vorliegt; bei 40 % liegt keine eindeutige Seitigkeit der Augen vor. Obwohl oft gemutmaßt wird, dass Zusammenhäng zwischen Händigkeit, Füßigkeit, Äugigkeit und der Bevorzugung eines Ohres bestehen, kann dies nicht wissenschaftlich bestätigt werden. Eine „gekreuzte Dominanz“ (z.B. Rechtshändler und Linksfüßler) ist alles andere als ungewöhnlich.
Seitigkeit und motorische und kognitive Leistungsfähigkeit
Es wird angenommen, dass die Arbeitsteilung des Gehirns durchaus Sinn ergibt. Bei einem Experiment mit Küken konnte gezeigt werden, dass eine Asymmetrie der Hemisphären gegenüber einer Symmetrie überlegen ist, wenn die Küken gleichzeitig Körner picken und auf mögliche Feinde achten müssen. Mit einer Arbeitsteilung des Gehirns – also bei Vorhandensein eines dominantes Auges – scheint dies besser zu funktionieren, als ohne ein dominantes Auge. Allerdings gibt es in der Wissenschaft bei Studien mit Menschen bezüglich von Ambidextern widersprüchliche Ergebnisse. Einige Studien weisen auf den Nachteil einer fehlenden Lateralität hin, andere Studien konnten keine kognitiven oder motorischen Unterschiede im Vergleich zum Vorliegen einer Links- oder Rechtsdominanz feststellten. Ebenfalls wurde früher – und teilweise heute noch – angenommen, dass eine Linksdominanz pathologisch (krankhaft) bedingt ist. Dies lässt sich nach aktuellem Stand der Forschung nicht bestätigen, zumindest nicht in Bezug auf die motorischen und kognitiven Fähigkeiten. Allerdings vermuten einige Forscher, dass eine Linksdominanz mit „versteckten Kosten“ einhergehen muss. Dabei wird über vorgeburtlichen Stressoren oder einem schwächeren Immunsystem bei einer Linksseitigkeit spekuliert. Klar scheint indes, dass es schadet, seiner Links- oder Rechtsnatur nicht zu folgen. Wenn Erstklässler beispielsweise zum Schreiben mit der rechten Hand genötigt werden, kann dies erhebliche negative Folgen auf die Motorik sowie die kognitiven Fähigkeiten haben.
Doch warum sollte ich meiner schwachen Körperhälfte jetzt mehr Beachtung schenken?
Ganz einfach, weil die Dominanz einer Köperseite im Laufe der Zeit oft wahrsten Sinn des Wortes Überhand gewinnt. Dies kann zu Leistungseinbußen und Gesundheitsbeschwerden führen. Warum dies der Fall ist und was man dagegen mit gezieltem Training unternehmen kann, wird im Folgenden gezeigt.
Bilaterales Techniktraining
Unter bilateralem (beidseitigem) Lernen wird in der Bewegungswissenschaft ein Training bezeichnet, bei dem Bewegungen (Techniken) systematisch mit beiden Körperseiten trainiert werden (z.B. Basketballwurf mit links und rechts im Wechsel üben). Dabei werden im Sport besonders zwei Effekte als Interessant erachtet: zum einen die Aneignung einer beidseitiger Bewegungskompetenz, so dass die Technik mit beiden Körperseiten umgesetzt werden kann (z.B. Torschuss oder Passen im Fußball). Zum anderen wird angenommen, dass Bewegungstechniken, die beidseitig ausgeführt werden, zu effektiveren und besseren Bewegungsleistungen führen, als bei nur einseitiger Ausführung. Verantwortlich dafür ist der sogenannte kontralaterale Transfer, der besagt, dass bei einer motorischen Übung der einen Körperhälfte stets auch die andere Seite mittrainiert wird. Die Studienlage zeigt relativ eindeutig, dass beim Erwerb einer Bewegungstechnik das bilaterale Üben gegenüber dem unilateralen (einseitigem) Üben zu besseren Lernerfolgen hinsichtlich der nicht-dominanten UND der dominanten Körperseite führt. Dies gilt sogar für primär einseitige Sportarten wie z.B. Tennis. Nach Hendrichs (2003) besteht wissenschaftlich wenig Zweifel darüber, dass das bilaterale Lernen bei gleichem Trainingsumfang, dem einseitigen Üben überlegen ist. Diese Erkenntnisse sind zwar nicht neu, finden in der Trainingspraxis allerdings auf allen Leistungs- und Altersstufen immer noch zu wenig Beachtung. Ein Sportler, der das Wissen um die Vorteile des bilateralen Trainings für sich genutzt hat, war Dirk Nowitzki. Im Dokumentarfilm „Der perfekte Wurf“ berichtet der General Manager der Dallas Mavericks, Donn Nelson, schmunzelnd über die schrägen Trainingsmethoden von Nowitzskis Individualtrainer, Holger Geschwindner, die 3er im Wechsel mit der linken und rechten Hand im Training zu werfen. Scheinbar war dieser Trainingsansatz bei Nowitzki nicht gerade erfolgslos und bei Kenntnissen über die Vorteile des bilateralen Lernens auch nicht wirklich schräg!
Das Training des nicht-dominanten Auges
Das binokulare (beidäugige) Sehen ist eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Fähigkeit des visuellen Systems. Damit dies erreicht wird, müssen beide Augen so funktionsfähig sein, dass die Bilder aus beiden Augen deckungsgleiche Informationen liefern. Das Zusammenführen der Bilder aus dem rechten und dem linken Auge wird als „Fusion“ bezeichnet. Werden die Informationen aus dem schlechten Auge jedoch aufgrund zu geringer Information aussortiert, so spricht von einer „Suppression“. Die Informationen aus dem schlechten Auge werden dann unterdrückt. Dies kann chronisch sein oder nur in gewissen Distanzen, Kopf- oder Augenpositionen, Lichtverhältnissen oder Bewegungsgeschwindigkeiten auftreten. Bewusst kann der Sportler dies nicht feststellen, schließlich bekommt er weiterhin ein Bild von seiner Umgebung. Im Falle einer Suppression ist allerdings die Qualität der Tiefenwahrnehmung erheblich reduziert. Da die Tiefenwahrnehmung für die Einschätzung von Distanz- und Geschwindigkeitsabschätzung von wichtiger Bedeutung ist, kann eine Flanke im Fußball, ein Schlag beim Tennis oder ein Wurf beim Basketball schnell sein Ziel verfehlen – und dies ist dann nicht auf technische Mängel, sondern auf schlechte Wahrnehmungsfähigkeiten zurückzuführen. Ebenfalls kann ein zu dominantes Auge bei Dauerarbeiten, z.B. vor dem Computer oder dem Smartphone, zu Dysbalancen und somit zu muskulären Verspannungen oder gar Verletzungen führen. Unsere Coaches bei FRESH AIR FIT sind in diesen Bereichen besonders ausgebildet und helfen Dir gerne durch eine Verbesserung deiner Wahrnehmung deine Leistungsreserven voll auszuschöpfen bzw. deiner chronischen Verspannungen entgegenzuwirken!
Muskuläre Dysbalancen
Durch einseitige Belastungen im Sport und im Alltag kann es zu muskulären Dysbalancen kommen. Dies bezeichnet ein Ungleichgewicht im Zusammenspiel von Agonisten (Spielern) und Antagonisten (Gegenspielern) bei Bewegungen und Haltungen in bestimmten Gelenkpositionen. Es kann sowohl hinsichtlich der Länge (Dehnfähigkeit) also auch hinsichtlich der Spannung (Muskelkraft/Tonus) zu Dysbalancen kommen. Meist tritt beides gleichzeitig auf. Muskuläre Dysbalancen können unter anderem zu Verspannungen, Überlastungen der Sehnen sowie zu Funktionseinschränkungen (Leistungsminderung) führen. Ein Beispiel für eine Dysbalance ist der Rundrücken, welcher durch eine geschwächte Rückenmuskulatur (Strecker der Wirbelsäule) und eine verkürzte Brustmuskulatur hervorgerufen wird. Aufgrund des vielen „nach vorne arbeiten“ in unserer Gesellschaft, werden die Rückenmuskeln häufig nicht ausreichend gekräftigt und die Brustmuskulatur zu wenig „auf Länge gebracht“. Dem kann durch gezieltes Dehnen der Brustmuskulatur und einer Kräftigung der Rückenmuskeln, insbesondere des oberen Rückens, entgegengewirkt werden.
Eine weitere typische Dysbalance, die sich durch das viele Sitzen ergibt, ist eine zu schwache hüftstreckende Muskulatur (Gesäßmuskeln und hinterer Oberschenkel) und ein verkürzter Hüftbeuger (vorderer Oberschenkel). Die Folge ist eine starke Lordose im Bereich der Lendenwirbelsäule (Hohlkreuz). Dies wiederum führt durch ungleichmäßige Kraftverteilung auf die Bandscheiben (Scherkräfte) zu einer stärken Abnutzung der Bandscheiben und im schlimmsten Falle zu einem Bandscheibenvorfall. Der bekannte amerikanische Physiotherapeut und Bestseller-Autor, Dr. Kelly Starrett, spricht aufgrund der zunehmenden Bürotätigkeiten in unserer modernen Gesellschaft und den damit einhergehenden steigenden Zahlen an Rückenproblemen von „Sitzen ist das neue Rauchen“.
Muskuläre Dysbalancen sind aber nicht nur zwischen Spieler und Gegenspieler zu identifizieren, sondern auch zwischen linker und rechter Körperseite. Insbesondere bei einseitigen Sportarten (z.B. Tennis) entstehen Dysbalancen zwischen rechter und linker Körperseite. Aber auch im Alltag, z.B. durch die ständig gleiche Sitzposition, kann ein links/rechts Ungleichgewicht entstehen. Im Training nimmt deshalb das unilaterale Training – die linke und rechte Körperseite getrennt trainieren – eine wichtige Rolle ein. Es ist wichtig sich bei der Progression von Gewichten stets an der schwächeren Seite zu orientieren, da sonst die Dysbalance noch weiter verstärkt wird!
In unseren FRESH AIR FIT WORKOUTS widmen wir uns gezielt den typischen Problemzonen, um die Haltung mit Dehn, Atmung- und Kräftigungsübungen zu verbessern. Darüber hinaus geben unsere Coaches in den Workouts wertvollen Tipps, wie ihr im Alltag eure Haltung gezielt kontrollieren könnt sowie durch kleine Übungen an der Haltung arbeitet.
Fazit
Eine gewisse Lateralität scheint nicht schlecht zu sein, wahrscheinlich sogar notwendig. Allerdings darf die Dominanz unserer Schokoladenseite nicht zu stark ausgeprägt sein im Vergleich zur schwächeren Körperhälfte. Einseitige Belastungen im Alltag und Sport fördern allerdings eine Überdominanz. Dem muss durch ein GEZIELTES TRAINING VON EXPERTEN (sonst könnten sich die Dysbalancen noch weiter verstärken und das Training wirkt kontraproduktiv) entgegengewirkt werden. Wird dies nicht gemacht, sind Leistungseinbußen und gesundheitliche Probleme die logische Folge!
Quellen:
Hendrich, Eva. (2003). Motorisches Lernen und kontralateraler Transfer. Ludwig-Maximilians-Universität München.
Hohmann, A., & Pietzonka, M. (2017). Techniktraining zur Entwicklung der Spielfähigkeit im Fußball, Handball und Basketball. (Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Hrsg.) (1. Auflage, Stand: Mai 2017.). Hellenthal: Sportverlag Strauß.
Krombholz, H. (o. J.). Händigkeit, Körperschema und kognitive und motorische Leistungen im Kindesalter – ein Überblick. Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP).
Schmid-Fetzer, U., & Lienhard, L. (2018). Neuroathletiktraining: Grundlagen und Praxis des neurozentrierten Trainings. München: Pflaum Verlag.
Starrett, K., Starrett, J., & Cordoza, G. (2016). Sitzen ist das neue Rauchen: das Trainingsprogramm, um Haltungsschäden vorzubeugen und unsere natürliche Mobilität zurückzugewinnen. (M. Walter, Übers.) (1. Auflage.). München: riva.
Weber, C. (2010, Mai 17). Kampf der Hirnhälften. Süddeutsche Zeitung.